Die Biographie Eugen Finks
von Susanne Fink
Eugen Fink wurde am 11. Dezember 1905 in Konstanz in die Familie eines Beamten der Militärverwaltung hineingeboren, wo er schon drei Brüder vorfand und wo nach ihm noch zwei Schwestern geboren wurden. Die ersten Schuljahre verbrachte er in dem Dorf Hochemmingen auf der Baar, wo der Bruder der Mutter katholischer Pfarrer war. Dieser Aufenthalt war in vieler Hinsicht prägend für den Jungen. Sein großer Wissensdurst fand reichlich Nahrung in der umfangreichen Bibliothek des Onkels, wo neben den gesamten Helden- und Rittersagen, den Volksbüchern und Tausendundeine-Nacht-Geschichten auch schon philosophische Schriften (z. B. Kant und Nietzsche) ihn in ihren Bann zogen. Später hat er oft erzählt, wie er sich mit einem Buch irgendwo in Keller oder Speicher zu verstecken pflegte, so dass man vergebens nach ihm rief.
Besonders wichtig aber war für ihn, wie er später immer wieder betonte, der Moment, als er nach einem Sommerregen still unter dem herbduftenden Strauch schwarzer Johannisbeeren lag, wo dem etwa Zehnjährigen in der Intensität von Dunst und Duft zum ersten Mal zum Bewusstsein kam: Das bin ich! Er hat diesen intensiv erlebten Moment immer als den Beginn seines Philosophenlebens angesetzt.
Im Übrigen müssen diese Jahre beim „Pfarronkel“ eine sehr glückliche Zeit für ihn gewesen sein. Er war bei ihm übrigens auch als Ministrant tätig und begleitete ihn oft auf langen Gängen bei Krankenbesuchen und ‚Versehgängen‘ auf die Höfe der Umgebung. In späteren Jahren fuhr er immer wieder in das Dorf zurück, nachdem der Onkel längst gestorben und das alte Pfarrhaus in ein Altenheim umgewandelt worden war. Er erzählte gern von den kindlichen Erlebnissen in den Wäldern und Wiesen der Umgebung mit dem älteren Bruder und den Dorfkindern. Der „Pfarronkel“ unterrichtete ihn privat weiter, nicht nur in Latein, so dass er bei seiner Rückkehr nach Konstanz 1918 im altsprachlichen Gymnasium die zwei ersten Klassen überspringen und gleich in die Quarta eintreten konnte.
Noch während seiner Schulzeit las er Kant, Hume, Hegel, Nietzsche, Giordano Bruno und eine Schrift über den Buddhismus von Heiler; das sind nur die Bücher, bei denen Name und Datum auf der ersten Seite die Anschaffung während der letzten Schuljahre bezeugen. Schon als Schüler war er Mitglied der Konstanzer Kantgesellschaft und besuchte regelmäßig die Vorträge und Diskussionen. Nebenbei wirkte er als Statist am Theater mit, wobei er dank seines guten Gedächtnisses rein vom Hören viele Dramen auswendig lernte. Noch im Alter konnte er ganze Szenen aus Schillers Tell auswendig herdeklamieren. Natürlich bedeuteten ihm die griechischen Tragödien viel.
Eine wichtige Rolle in der Freizeit spielten sowohl der Bodensee als auch die nahen Alpen. Natürlich war er als Bub oft im und auf dem See, schwimmend, segelnd, rudernd. Und dann begann die Begeisterung für das Bergwandern und Klettern, die ihn sein Leben lang nicht verlassen hat. Mit Freunden und später auch mit der kleinen Schwester bestieg er den Säntis und die Schesaplana und was sonst noch für einen Konstanzer Schüler erreichbar war. Er fing aber auch an, schwierigere Klettertouren zu machen, die neben dem körperlichen Einsatz die Hilfe von Seil und Haken erfordern. Noch während des Studiums und in den ersten Ehejahren (seit 1936) vor dem Krieg betrieb er diesen Sport, bei dem seine Frau Martl ebenso begeistert mitmachte. Nun ging es auch in die Bayerischen Alpen und in die Dolomiten, die immer einen besonderen Reiz für ihn hatten. Auch noch viel später, als das Klettern nicht mehr ging, konnte eine ausführliche Alpenwanderung den Alternden in helle Freude versetzen. Eine enge Naturverbundenheit zeichnete ihn aus. Im Erwandern erschloss sich die Natur ihm immer wieder neu, er fühlte sich in ihr aufgehoben.
Aber zurück: 1926, nach der Pensionierung des Vaters, zog die Familie nach Meersburg. Doch da war Eugen schon nicht mehr dauernd zu Hause: Nach dem Abitur 1925 begann er sofort mit dem Studium (Philosophie, Geschichte, Germanistik, Volkswirtschaft), das nach zwei Semestern in Münster und Berlin sich ganz auf Freiburg einspielte; er geriet in den Bannkreis Edmund Husserls, der ihn für die nächsten Jahre festhalten sollte.
Husserl, dem er zuerst durch sein Gedächtnis und sein philosophisches Wissen auffiel, zog ihn bald in seinen näheren Umkreis und betreute ihn bei seiner Promotion, die aus einer Preisarbeit der philosophischen Fakultät von 1928 entwickelt wurde. 1929 promovierte Fink bei Husserl und Heidegger mit dem Thema „Vergegenwärtigung und Bild. Beiträge zur Phänomenologie der Unwirklichkeit“, und widmete sich dann ganz den phänomenologischen Forschungen seines Lehrers.
Da Husserl 1930 schon emeritiert war und keine Vorlesungen mehr hielt, aber sehr viele Studenten die Phänomenologie Husserls kennenlernen und studieren wollten, beauftragte Husserl Eugen Fink mit privaten Seminaren, die gezielt auch für die aus dem Ausland angereisten Studierenden gedacht waren. So kam es zu dem berühmten Japaner-Seminar, an dem 1930 die (späteren) Professoren Mayumi Haga (Tokio), Goichi Miyake (Sendai), Tomoo Otaka (Seoul) und Jihei Usui (Kyoto) teilnahmen, mit denen Fink noch viele Jahre lang enge Kontakte hielt. Ferner hatte er Verbindung mit Fritz und Felix Kaufmann, Alfred Schütz, Ortega y Gasset, Dorion Cairns, Maurice-Merleau Ponty und vielen anderen, die damals noch bei Husserl erschienen oder Briefe mit ihm wechselten. 1930 begleitete er Husserl zu einem „Arbeitsurlaub“ nach Chiavari am Mittelmeer.
Jedoch kam 1933 die Entscheidungsstunde: Die Universitätslaufbahn wäre ihm nur möglich gewesen, wenn er sich von Husserl getrennt hätte, der als Jude unerwünscht war. Das aber entsprach weder seinem Wesen noch seinen Prinzipien. Er blieb also – gegen alle Anfeindungen und angesichts einer ungewissen Zukunft – als Privatassistent bei Husserl, zeitweise unterstützt durch Stipendien aus England und USA, wo emigrierte Schüler und Freunde Husserls sich für ihn einsetzten, nachdem ab 1933 die „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“ ihm weitere Stipendien verweigert hatte.
Es waren Jahre intensivster Arbeit und eines engen philosophischen Zusammenlebens mit Husserl, der zwar wegen seines internationalen Rufes nicht direkt behelligt, aber im Inland völlig isoliert wurde. Veröffentlichungen, Vorträge und Tagungen waren nur im Ausland möglich, und Ausreisepapiere zu erlangen, war auch nicht leicht. Der beinahe tägliche „philosophische Spaziergang“ mit Husserl ist von Freunden geschildert worden, die ihn selbst zu erleben das Glück hatten (Jan Patočka, Dorion Cairns, Hans Lassner). Husserl pflegte Fink seine Probleme darzulegen, die dieser dann schriftlich fixieren und bedenken musste, woraus sich weitere Entwicklungen ergaben. Aber auch praktische Pflichten gab es: Husserl pflegte Fink einlaufende Briefe und Anfragen auswärtiger Philosophen zu übergeben mit dem Auftrag, Antworten zu entwerfen. Daraus entstanden zahlreiche interessante Abhandlungen über damals aktuelle philosophische Fragen und Kontakte mit der philosophischen Welt, wie sie sonst in jenen Jahren nicht leicht möglich waren.
Wie sehr Husserl im Ganzen mit seinem Assistenten übereinstimmte, geht aus vielen Briefen an Freunde hervor, auch etwa aus der Vorrede Husserls zu Finks Abhandlung in den Kantstudien 1933 („Die phänomenologische Philosophie Edmund Husserls in der gegenwärtigen Kritik“, zuletzt abgedruckt in Studien zur Phänomenologie 1930–39, Phaenomenologica 21, Nijhoff 1966). Husserl schreibt da: „[…] ich freue mich, nun sagen zu können, dass in derselben kein Satz ist, den ich mir nicht vollkommen zueigne, den ich nicht ausdrücklich als meine eigene Überzeugung anerkennen könnte“.
Für Eugen Fink war es eine lehrreiche, aber oft auch harte Zeit, denn der große Altersunterschied, die weitere Erfahrung Husserls und auch unterschiedliche Denkwege machten es ihm manchmal schwer, sich bedingungslos dem Lehrer unterzuordnen. Es ging offenbar nicht immer ohne Reibung vonstatten, obwohl andererseits Fink später immer betonte, wie viel er schon allein methodisch bei Husserl gelernt habe. Fink schreibt darüber selbst 1945: „Husserl […] hat meine Mitarbeit vor allem wegen ihrer stark kritischen Tendenz geschätzt; ich habe in diesen sieben Jahren zahlreiche Manuskripte kritisch bearbeitet, Entwürfe zu Neufassungen und Vorschläge zu Umarbeitungen auch schon publizierter Werke sowie Editionspläne gemacht. Die Zurückstellung eigener philosophischer Arbeit hinter die Mitarbeit an einer bereits zu Weltbedeutung gekommenen Philosophie war für mich kein Problem des Ehrgeizes. In der Arbeitsatmosphäre Husserls war dergleichen wesenlos. Husserl hat meine geistige Selbständigkeit gerade dadurch anerkannt, dass er immer meinen produktiven Widerspruch und meine Kritik suchte, die er als Stimulus zur Objektivierung seiner schöpferischen Gedanken brauchte.“ Die zahlreichen Aufzeichnungen und Skizzen Finks aus dieser Zeit wurden von Ronald Bruzina (Lexington, USA) erschlossen und aufgearbeitet.
Husserls Tod 1938 beendete diese Zusammenarbeit und stellte die Frage, wie es nun weitergehen sollte. Zunächst half Fink der Witwe Husserls und dem belgischen Franziskaner Prof. Herman Leo van Breda bei der Rettung des umfangreichen Nachlasses, der im Diplomatengepäck insgeheim nach Leuven in Belgien gebracht wurde (1938) und somit vor der Vernichtung durch die Nazis gerettet werden konnte. Dann folgte er der Einladung Van Bredas und emigrierte 1939 mit seiner Frau nach Leuven, wo er zusammen mit Ludwig Landgrebe die Auswertung der Stenogramme Husserls ins Werk setzte.
Diese Arbeit wurde 1940 durch die Besetzung Belgiens durch deutsche Truppen unterbrochen. Kurz vorher nämlich wurden alle in Belgien lebenden Deutschen – auch die echten Emigranten – als angebliche Mitglieder der „fünften Kolonne“ (einer Nazi-Spionageorganisation) interniert und nach Frankreich abtransportiert. Dieser Transport war offenbar eine schlimme Leidenszeit. „Am 10. Mai morgens wurden wir durch Flakfeuer geweckt und erfuhren bald aus dem Radio, dass Krieg ist. Martl packte einige Koffer. Noch am Vormittag wurden wir beide verhaftet und mussten ohne Koffer, ich ohne Mantel und Decke, ohne Hut, ohne das geringste Gepäck, die Taxifahrt ins Gefängnis in Löwen antreten, wo wir, ohne Abschied nehmen zu können sofort getrennt in Einzelzellen gesperrt wurden […]. Am 15. Mai wurden wir dann aus dem Gefängnis Brüssel zum Bahnhof gebracht. Dort begann dann die Schreckensfahrt.“ Mehrfach glaubten die Insassen des scharf bewachten Güterzuges, der tagelang durch Frankreich fuhr, das Ende sei nun gekommen. Wer irgend auffiel, wurde erschossen. In Tours rettete nur ein Polizeieinsatz die Gefangenen vor der Lynchjustiz einer tobenden Volksmenge. Endziel war das Lager in St. Cyprien im Roussillon, das auf nassem Sandstrand errichtet worden war, wo man nass schlief, aber nicht zum Waschen ins Meer durfte. Man lebte von Wassersuppen und schimmeligem Brot. „[…] ich habe mindestens 25 Pfund verloren; infolge Unterernährung bekamen viele, so auch ich, eine Art Wassersucht, ganz geschwollene Füße.“ Finks Gesundheit war lebenslänglich geschädigt. Viele der dort Internierten starben an Hunger und Krankheiten, bis dann – Ironie des Schicksals – die deutsche Besatzungsarmee als ,rettender Engel‘ erschien.
Jedoch war dann natürlich ein Verbleib in Belgien und Arbeit im Husserl-Archiv nicht erlaubt, sondern man musste ins „Reich“ zurück. Nach einigen Gestapoverhören wurde Eugen Fink damals 35jährig als Rekrut zur Wehrmacht eingezogen. Der Versuch seiner Dienststelle, ihn zur Offizierslaufbahn zu überreden, scheiterte an seiner entschiedenen Weigerung – obwohl man ihm klarmachte, dass dies eine „Rehabilitierung“ für seine vergangenen „Sünden“ bedeutet hätte. Er hatte es sicher nur der Noblesse seines Vorgesetzten zu verdanken, dass diese Weigerung keine weiteren Nachteile für ihn brachte. Bis Kriegsende blieb er Soldat bei der Flugabwehr, meistens als Flugwache im Bereich von Freiburg, wo ihn auch die französische Besatzungsarmee 1945 erreichte. Und da hatte er wieder das Glück, einen noblen Gegner anzutreffen: Er beschrieb nämlich seinen Lebens- und Leidensweg auf Französisch, das er gut beherrschte, mit dem Tenor: Ich habe vom Dritten Reich keinerlei Profit gehabt, sondern nur Leiden, ich habe nicht die Absicht, seinen Untergang zu teilen. Der Standortkommandant von Sankt Märgen, zu dem er sich aus seiner letzten Stellung durchschlug, sprach mit ihm und war so beeindruckt von seinen Ausführungen, dass er ihn sofort freistellte, statt ihn, wie alle anderen deutschen Soldaten, in Gefangenschaft abführen zu lassen.
Da Fink inzwischen eine Familie hatte mit zwei Kindern, die 1941 und 1942 zur Welt gekommen waren, hieß es nun einen Weg finden. Da bot sich die Universitätslaufbahn selbstverständlich an. Er habilitierte sich 1946 an der Universität Freiburg mit der bei Husserl schon 1932 geschriebenen Arbeit „Die Idee einer transcendentalen Methodenlehre“, wurde Dozent und 1948 Ordinarius für Philosophie und Erziehungswissenschaft. Diese Nachkriegszeit brachte ungeahnte Belastungen: Nicht nur dass man das Joch der Besatzung überall spürte, sondern auch, dass es an allem Notwendigen mangelte: an Nahrungsmitteln, Kleidung, Heizmaterial, Schreibmaterial, Büchern – was alles ein Dozent mit Familie brauchte. Eugen Fink war dauernd unterwegs. Aus der Zeit der Flugwache kannte er mehrere Bauern aus dem Umland, mit denen er auf freundschaftlichem Fuße stand, so dass sie ihm bei der Ernährung seiner Familie behilflich waren. Er war aber auch selbst immer bereit, den Bauern bei der Ernte zu helfen, wo es Not tat: In Munzingen kannte man den „Professor“, der auf der Tenne stand und den Dreschflegel schwang wie ein alter Bauer. Solche Hilfe war bei den Bauern viel wert, solange die Jungen noch nicht aus der Gefangenschaft zurückgekehrt waren. Freund Schopp, der neben Gemüse und Spargeln auch Wein anbaute, war ein vielbesuchter und geschätzter Freund bis zu Eugen Finks Tod.
Zu diesen Freunden von der Flugwache gehörte auch der spätere Versicherungsvertreter Georg Loch, ein damals vielgefragter Mann, da er zu denen gehörte, die überall handwerklich aushelfen konnten. Mit ihm zusammen ging Fink in den Wald zum „Holzmachen“, d. h. Bäume fällen und zubereiten für die winterliche Ofenheizung. Auch mit ihm hat eine lebenslange Freundschaft bestanden. Es ist bezeichnend für Eugen Fink, dass gerade einige besonders enge Freunde nicht zur intellektuellen Universitätselite gehörten – dass Intellektualität für ihn weniger wichtig war als ein echtes menschliches Verständnis.
Vorrangig waren aber nun die Forderungen des neuen Amtes, die Fink mit Hingabe erfüllte. Wer damals als Student in seinen ersten Vorlesungen saß, wird es nie vergessen, wie – nach all dem Elend und Unheil der vergangenen Jahre – da ein Mann stand, der Grundlagen legte. Nach dem Zusammenbruch aller bisher geltenden „Werte“ standen diese jungen Leute verzweifelt im Leeren. Sie hatten das Elend des Krieges, die Bombardierung der Städte, Gefangenschaft, Hunger, Not, Unmenschlichkeit erlitten und sollten nun wieder aufbauen. Worauf? Eugen Fink verstand es, ihnen neue Sichtweisen zu zeigen, der grundlosen Existenz Grund zu geben, mögliche Wege in die Zukunft zu weisen. Viele seiner damaligen Schüler danken ihm das ihr Leben lang.
Daneben engagierte er sich in vielen Richtungen. Ab 1946 unterstützte er seinen langjährigen Studienfreund Alfred Riemensperger beim Aufbau der Freiburger Volkshochschule und hielt selbst jahrelang Kurse, z. B. über Rilkes Duineser Elegien und die Sonette an Orpheus, aber auch über Volksbildungs- und Erziehungsprobleme der damaligen Zeit hielt er Vorträge, die bis heute richtungweisend sind, da Fink in ihnen nicht nur zeitbedingte Fragen aufarbeitete, sondern die Grundlagenprobleme der Pädagogik thematisierte. In zahlreichen Beiträgen und Wochenendseminaren trug er zum Volkshochschulprogramm bei und war bis zu seinem Tode im Vorstand tätig.
An der Universität gründete er 1950 das Husserl-Archiv Freiburg, das in Kontakt mit dem Husserl-Archiv Leuven die Arbeit am Husserl-Nachlass weiterführte, die er 1939 in Leuven begonnen hatte. Er leitete das Archiv bis 1971. 1951 war er Mitarbeiter der deutschen UNESCO-Kommission für Philosophie, wo er über die Zustände im Erziehungswesen zu berichten hatte. Von 1954 bis 1971 leitete er das Studium Generale an der Universität Freiburg, wo er sich vor allem für die Querverbindungen zwischen den verschiedenen Fakultäten einsetzte. Er lud verstärkt auswärtige Gäste zu Vorträgen ein, die er mit Vorliebe auch nach Sankt Blasien führte, wo er ein Studium-Generale-Büro für krankheitshalber dort weilende Studenten eingerichtet hatte. Auch diese sollten mit geistiger Nahrung versorgt werden.
Seit 1955 war er in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft für den Bereich der Hochschulen tätig, wurde 1958 in die „Pädagogische Hauptstelle“ gewählt und war so maßgeblich an der Abfassung des sogen. Bremer Planes beteiligt, der die Neuregelung von Schul- und Lehrerbildung zum Ziel hatte (1960). Zur gleichen Zeit war er aktives Mitglied der „Hauptgruppe Mensch und Technik“ beim Verein Deutscher Ingenieure Jahrelang wirkte er im Verwaltungsrat des Kunstvereins Freiburg, wo er auch stellvertretender Vorsitzender war.
Zahlreiche Einladungen zu Vorträgen und Kongressen wären aufzuzählen, so z. B. 1949 nach Mendoza zum Internationalen Philosophenkongress, 1966 zu den Wiener Hochschulwochen, 1971 zu den Salzburger Karajanseminaren, 1972 und 1973 zur Deutsch-Italienischen Kulturakademie in Meran, usw. Sehr am Herzen lag ihm immer das Treffen mit den jugoslawischen Freunden der Praxis-Gruppe auf der Adria-Insel Korčula und in Zagreb. 1948 erhielt er eine Einladung von Felix Kaufmann zu einem Vorlesungsjahr an der New School of Social Research in New York und an der Universität Chicago. Diese sehr verlockende Aussicht scheiterte offenbar an bürokratischen Schwierigkeiten. Große Tragweite hatten auch damals die sonntäglichen Aula-Vorträge des Südwestfunks Baden-Baden, wo Eugen Fink zu den verschiedensten Fachgebieten ein geschätzter Redner war. Es sei hier nur an die Vortragsreihe „Oase des Glücks, Gedanken zu einer Ontologie des Spiels“ erinnert, die eine erfreuliche Breitenwirkung hatte.
Von einem ungewöhnlichen „philosophischen Seitensprung“ soll noch berichtet werden, der sich in den Sechzigerjahren abspielte. Fink hatte 1963/64 einige Semester lang einen erkrankten Kollegen in Basel vertreten. Dabei hatte er den Baseler Textilkaufmann Walter Spengler kennen gelernt, der sich sehr für Philosophie erwärmte und der Meinung war, die Abteilungsleiter seiner zahlreichen Filialen in mehreren Schweizer Städten könnten durch philosophische Seminare nur gewinnen. Er engagierte also Fink, der diesen Bestrebungen gern entsprach und von 1967 bis 1969 in Basel solche Fortbildungsvorträge ermöglichte. Einige dieser Vorträge wurden 1969 zu dem Buch Mode – ein verführerisches Spiel zusammengestellt, das auf originelle wie auch auf tiefsinnige Art die Gedanken eines Philosophen über die Mode darlegt. (Leider ist wegen Unstimmigkeiten zwischen Spengler und seinem Verlag das Buch nicht wiederaufgelegt worden, jedoch haben Freunde in Spanien, Italien und Japan bereits ihr Interesse an entsprechenden Übersetzungen bekundet.)
Seine Verbundenheit mit der Phänomenologie hat Fink immer durch seine Teilnahme an den diesbezüglichen Tagungen bewiesen: in Brüssel 1951, Krefeld 1956, Royaumont 1957, Sarajevo 1967 und Schwäbisch Hall 1969 hat er vortragend und diskutierend seinen Standpunkt vertreten. Seine in diesem Zusammenhang gehaltenen Vorträge sind inzwischen in dem Band Nähe und Distanz gesammelt und bezeugen eine Verbundenheit mit Edmund Husserl, die er nie verleugnete, wenn auch sein eigenes Denken andere Wege gegangen ist.
Dass diese anderen Wege vielseits geschätzt wurden, zeigen die Rufe, die an ihn von anderen Universitäten ergangen sind: 1948 nach Köln, 1957 nach Berlin und auf den vakanten Heidegger-Lehrstuhl in Freiburg, 1965 nach Wien. Dass er sogar den berühmten Heidegger-Lehrstuhl ablehnte, wurde ihm vielfach falsch ausgelegt. Er hatte jedoch seit 1948 seinen Lehrstuhl für Philosophie und Erziehungswissenschaft allein aufgebaut und geprägt – vor allem gehörte für ihn seine Pädagogik eng in seine Philosophie hinein – so dass es ihn nicht reizen konnte, dieses sein Werk aufzugeben für einen Lehrstuhl, der so ganz anders geprägt und besetzt war.
Finks Verhältnis zu Martin Heidegger ist nicht leicht in Worte zu fassen. Er hatte Heidegger vom Ende der Zwanzigerjahre an gehört und studiert, stand dann in engem Kontakt mit ihm sowohl im Umkreis der Universitätsangelegenheiten (Heideggers Suspendierung nach dem Krieg) als auch in privaten Seminaren etwa in Todtnauberg, wo Fink in der Studium-Generale-Hütte in der Nachbarschaft zu Heidegger oft verweilte. Im WS 1966/67 veranstalteten sie zusammen das in viele Sprachen übersetzte Heraklit-Seminar in der Universität Freiburg. Heidegger war in Finks Augen zweifellos der bedeutendste Philosoph unseres Jahrhunderts, was nichts über seine zweifelhafte Rolle in der Politik oder im privaten Umgang (Abkehr von Husserl 1933 u .a. m.) aussagen wollte. Es konnte Fink nicht gleichgültig sein, wie die Tagespolitik der Nachkriegszeit mit diesem großen Geist verfuhr, der sich offenbar in den Wirren der Politik nicht in Ehren hatte behaupten können. Das war wohl der Grund, weshalb sich Fink nach dem Kriege in der Universität für Heidegger eingesetzt hat, obwohl er selbst Heideggers Handlungsweise sicher nicht billigen konnte. Dass Heidegger Finks verhaltene Hochschätzung dankbar anerkannte, hat er in manchem Brief und z. B. in der Widmung im Band 29/30 der Heidegger-Gesamtausgabe gezeigt, die am Tage nach Eugen Finks Tod geschrieben wurde. Finks Hochachtung Heidegger gegenüber war die des „ja – aber …“.
Wie Fink zeitweise in der Literaturwissenschaft mitwirkte, das bewies seine Teilnahme an mehreren Tagungen des Grillparzer-Forums in Forchtenstein in Österreich, und an der Akademie Deutsch-Italienischer Studien in Meran, wo er jeweils literarphilosophische Vorträge hielt (siehe Epiloge zur Dichtung, Klostermann 1971). Geehrt wurde er 1971 durch die von der Universität Leuven verliehene Ehrendoktorwürde und durch die Ehrenmitgliedschaft des Institut International de Philosophie. Es würde den Rahmen einer Kurzbiographie übersteigen, wollte man die Höhen und Tiefen eines 25jährigen Universitätsalltags ausführlich schildern.
Das Verhältnis Finks zu den Studenten ist schwer zu charakterisieren. Einerseits war klar zu sehen, wie groß die Distanz dieses Philosophierenden auf dem Katheder zu seinen Hörern war: Die Vorlesungen waren so anspruchsvoll, dass sie von den Studenten wie vom Vortragenden äußerste Konzentration forderten. Das schuf eine Atmosphäre der Spannung und der heimlichen Scheu, die schwer zu durchbrechen zu sein schien. Und dann war da auf einmal auf Exkursionen und Ausflügen dieser vergnügte, warmherzige Mensch, der gar nicht unnahbar war, der ohne Zögern literarphilosophische Wochenenden im Fachschaftshaus auf dem Schauinsland organisierte zusätzlich zu seinem großen Programm, für die er nichts bekam als die Bewunderung und den Respekt der Teilnehmer. Er war immer für die Studenten da, wenn sie ihn brauchten, nahm sich immer Zeit für sie, auch wenn er eigentlich keine hatte. Er veranstaltete Wochenendseminare zu aktuellen pädagogischen Themen, z. B. zur gesellschaftlichen Relevanz der Bildungsplanung und deren Hintergründen, oder zu den Problemen der Erwachsenenbildung und deren Notwendigkeit und zu anderen Themenbereichen, die gerade in der öffentlichen Diskussion waren. Dabei erfuhren die Studenten das große pädagogische Engagement Finks am gesellschaftlichen Aufbau und Wandel. Das wirkte ansteckend und provozierend. Er wünschte nicht Gefolgschaft, sondern Denkoffenheit, in der jeder Vorschlag, jeder Beitrag aufgenommen, beraten und bedacht werden konnte. In dieser Weise baute Fink eine Denknähe auf, die seine Schüler zum Weiterdenken anregte. Nicht nur die denkerische Schulung seiner Studenten war ihm ein Anliegen, er kümmerte sich auch um den Fortgang des Studiums. Unaufdringlich konnte er nach den Interessen, nach dem Fortgang einer Arbeit fragen, mit wichtigen Hinweisen helfen und vor Gefahren warnen. Aber er konnte auch schweigen und sich zurückziehen, wenn er den Eindruck gewann, dass sein Rat nicht gewünscht, nicht gefragt war, wenn allzu schnell Lösungen fixiert wurden und keine Fragen mehr offenblieben. Das Weiterfragen zu lehren war ihm ein Anliegen, das er vermittelte. Das machte ihn unbequem, aber niemals unsympathisch. Für seine Studenten setzte er sich in vielfacher Weise ein, wenn es galt sie zu fördern. Manche dezente Hinweise auf mögliche Berufs- und Lebenswege gingen von ihm aus, denen dann auch konkrete Hilfen folgten.
Die Entbehrungen und Strapazen der Kriegszeit, die Überbelastung durch die Universitätslehre, wo er z. B. lange Zeit als einziger prüfungsberechtigter Pädagoge allen Lehramtskandidaten das Pädagogicum abnehmen musste – dazu das ungebremste Engagement in der Bildungspolitik nach dem Kriege, das häufig Wochenenden einschloss, so dass von Entspannung vom Alltag keine Rede mehr sein konnte – das alles zeigte seine Folgen. 1970 war eine Nierenoperation unumgänglich, es folgten Herz- und Kreislaufprobleme, Diabetes, so dass er sich entschloss, sich 1971 emeritieren zu lassen. Es blieben ihm noch vier etwas ruhigere Jahre, die jedoch selbst jetzt noch getrübt wurden von missgünstigen Zeitgenossen, z. B. indem ihm der Zutritt zu seinem bisherigen Institut erschwert wurde, so dass er daraufhin jeden weiteren Besuch der Universität ablehnte, an der er über 50 Jahre lang studiert und gelehrt hatte. Im März 1975 brachte der erste Schlaganfall eine schwere Sprachstörung, die jedoch mit viel Energie wieder behoben werden konnte. Doch folgte im Juni der zweite Schlaganfall, von dem Fink sich nicht mehr erholte. Er starb am 25. Juli am dritten Schlaganfall. Auf seinen eigenen Wunsch wurde er nur im Beisein der Familie und der engsten Freunde in Freiburg beerdigt.